Luzerner Zeitung – Juli 2022

Wer gewinnen will, muss auch verlieren können

Erfolgreiche Europameisterschaft für Pascal Egger aus Luzern: Der Schulleiter gewann mit seiner Schule insgesamt neun Medaillen. Der 39-Jährige hat an der EM selber Gold und Bronze geholt.

Wer gewinnen will, muss auch verlieren können
Beim Finalauftakt im Teamevent gewinnt Pascal Egger (links) gegen Audun Daniels aus England.Bildquelle: Fabrizio Vignali (Adliswil, 23.07.2022)

Interview: Jule Seifert

Ihre Karateschule gewann bei der Heim-EM letzte Woche neun Medaillen. Worüber freuen sie sich mehr: Die eigene Gold- und Bronzemedaille oder die Medaillen des Nachwuchses? 

Pascal Egger: Ich priorisiere nicht. Ich kann nicht sagen, dass die eine Medaille wichtiger ist als die andere. Es sind unterschiedliche Gefühle. Kämpfen unsere Schülerinnen und Schüler und gewinnen sogar eine Medaille, dann ist die Freude sehr gross für diese Person. Ich gönne ihnen diesen Erfolg, denn sie haben dafür viel trainiert. Wenn ich selbst eine Medaille gewinne, dann gibt mir das die Bestätigung, dass ich immer noch zu den Topathleten gehöre.

Wie schwierig ist es, die eigenen Vorbereitungen und das Training der Karateschule sowie dem Nationalteam zu verbinden? 

Das kann man gut vereinbaren. In gewissen Trainings mache ich mit den Schülerinnen und Schülern in Luzern mit und bereite mich so zusammen mit ihnen auf die Wettkämpfe vor. Wenn wir uns mit dem Schweizer Nationalteam treffen, läuft das ähnlich ab und ich trainiere gleichzeitig mit. Ich habe eine grosse Leidenschaft fürs Karate, das motiviert mich, viel Zeit dafür zu investieren.

Bei Turnieren sind Sie als Trainer und Athlet im Einsatz. Ist die Doppelbelastung bei so einem wichtigen Turnier nicht zu viel?

Ich muss etwas jonglieren. Mittlerweile haben wir viele erfahrene Kämpferinnen und Kämpfer aus Luzern, die mich unterstützen. Die Junioren starten immer am ersten Wettkampftag, das ist zeitlich kein Problem für mich, dabei zu sein. Bei den Elite-Kämpfen unterstütze ich die Athletinnen und Athleten in meinen Wettkampfpausen. Es ist etwas mehr Belastung und Stress, aber es funktioniert.

Die Medaillenausbeute bestätigt das. Sie sind seit ihrer Jugend an Shukokai- Turnieren erfolgreich. Warum haben Sie sich für diesen Karatestil entschieden?

Mit elf Jahren habe ich in einer Hobbyschule angefangen. Dort wurde Shotokan, einer der grösseren und bekannteren Karatestile, unterrichtet. Die Shukokai-Schule in Adliswil bot auch Wettkampfsport an, deswegen wechselte ich. Besonders faszinieren mich am Shukokai-Stil die Dynamik und die Schlagkraft, die man mit der Technik erlangen kann.

Zum dritten Mal in Folge sind Sie mit dem Schweizer Team Europameister. Wie funktioniert Karate als Teamsport?

Es ist etwas ganz anderes als im Einzel. Klar, im Kampf ist man auch allein auf der Kampfmatte, aber hinter sich hat man das ganze Team und das gibt eine ganz andere Energie. Als Wettkampfdisziplinen gibt es Kata und Kumite, jeweils im Einzel sowie im Team. Beim Kumite, dem Freikampf, kämpfen pro Team fünf Athleten gegeneinander, bei den Frauen kämpfen drei Athletinnen. Es gibt keine Gewichtsklassen wie im Einzel, es kann also sein, dass ein Leichtgewicht gegen ein Schwergewicht antritt. Für uns ist das die Königsdisziplin und das Highlight bei jedem Turnier. Bei der Disziplin Kata wird eine Art Choreografie gezeigt, die nach Ausdruck und Technik benotet wird. Im Teamwettbewerb wird zusätzlich auf Synchronität geachtet.

Sie waren der Startkämpfer im Final gegen England. Ist das eine besondere Ehre?

Bei der Aufstellung wird viel taktiert. Gibt es nur zwei oder drei Topkämpfer, ist es oft so, dass der Beste zuerst kämpft, dann ein Schwächerer folgt und im dritten Kampf wieder ein Topkämpfer antritt. So war das auch bei unserem Gegner der Fall. Der Ausgang des ersten Kampfes ist wichtig und ebnet den Weg zum Sieg. Gewinnt der Startkämpfer, ist das Team zusätzlich motiviert. Es bedeutet aber auch einen gewissen Druck, vor allem bei einem EM-Final.

Dem Druck haben Sie Stand gehalten und gewannen.

Der Kampf verlief optimal. Ich konnte gegen den frischgebackenen Schwergewichts-Europameister kämpfen. In dieser Kategorie bin ich am Morgen Dritter geworden. Im Halbfinal verlor ich knapp und konnte deswegen nicht im Final um den Titel mitkämpfen. Im Team hatte ich dann quasi zusätzlich noch die Chance auf ein Einzelfinal mit ihm. Und das zu Hause in der Schweiz. Das war doppelt schön.

Waren Sie nicht verärgert, dass Sie nicht ins Final im Einzel gekommen sind?

Die Enttäuschung war schon da. Es kommt darauf an, wie man verliert. Es ist einfacher zu akzeptieren, wenn man haushoch gegen einen starken Gegner verliert, als knappe Niederlagen, bei der man seine Fehler kennt. Doch das gehört für eine Athletin und einen Athleten dazu, damit muss man klarkommen. Besonders wenn man in mehreren Disziplinen startet, darf man sich von einer Niederlage nicht aus der Bahn werfen lassen. Nur fünf Minuten später fand mein nächster Kampf statt, in dem es um Bronze ging. Hätte ich mich noch geärgert, hätte ich mich weder fokussieren noch gewinnen können. Wer gewinnen will, muss auch verlieren können.

Auch in Ihrer Schule lehren Sie den Umgang mit Niederlagen.

Ich finde das nicht nur für den Wettkampf, sondern fürs Leben generell wichtig. Mit Niederlagen kann man so oder so umgehen. Im Karate lernt man den richtigen Umgang damit. Mein Motto ist «keep it going», einfach weitermachen! Wenn etwas passiert, dann ist das morgen Vergangenheit. So ist das im Karate, und so sollte es im Leben sein. Es ist besser, im Heute zu leben und nach vorne zu schauen, anstatt traurig über etwas zu sein, das man nicht mehr ändern kann. Das versuche ich auch meinen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln.

Waren Sie als Kind schon so achtsam und ausgeglichen?

Ich habe das als Kind abgeschaut, ich hatte gute Vorbilder. Ich kann nicht sagen, wie es gewesen wäre, wenn mir das jemand anders vorgelebt hätte. Ich habe diese Gelassenheit durch meinen Lehrer kennen gelernt. Er hat mich zwar trainiert, um erfolgreich im Wettkampf zu sein, hat mich aber nie nach Niederlagen zurechtgewiesen. Karate ist eine Lebensschule. Ob ich die gleiche Lebenseinstellung auch ohne Karate hätte, bezweifle ich.

Bei der Heim-EM konnten Sie Ihre Werte nicht nur predigen, sondern auch anwenden.

Es ist wichtig, dass die jungen Menschen jemanden haben, der ihnen das vorlebt. Das macht es glaubwürdig und man kann Vorbild sein. Auch deswegen bin ich mit meinen 39 Jahren noch aktiv an den Turnieren, um den Umgang mit Niederlagen, aber auch mit Siegen, vorzuleben.

Der Karatestil Shukokai

Der meist praktizierte Karatestil ist Shotokan. Im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus verschiedenste Stilrichtungen, darunter ab 1969 auch der Shukokai-Stil. Seit fast 50 Jahren wird dieser auch an Schweizer Karateschulen unterrichtet. 2009 gründete Pascal Egger zusammen mit seiner Partnerin Antonella Bergamin die Shukokai-Karateschule in Luzern. Eggers Lehrer war direkter Schüler des Gründers des Karatestil Shukokai. Die einzelnen Karatestile sind den jeweiligen nationalen und internationalen Verbänden angegliedert. Der Shukokai-Weltverband zählt 22 Mitgliederländer aus fünf Kontinenten. Jährlich wechselnd finden Europa- oder Weltmeisterschaften statt. Die nächste WM wird 2023 in Südafrika durchgeführt. Dort gilt das Schweizer Männerteam neben Südafrika zu den Favoriten beim Teamwettbewerb. Auch Luzern war 2015 bereits Austragungsort für eine EM. Damals konnte das Final im Teamevent gegen die Engländer nicht gewonnen werden. Bei der diesjährigen EM in Adliswil (Zürich) gelang die Revanche und die Schweiz wurde Europameister in der Königsdisziplin. Insgesamt nahmen an der Heim-EM in Adliswil 18 Luzernerinnen und Luzerner teil und gewannen neun Medaillen. (js)

Autorin: Jule Seifert