Anzeiger Luzern – Oktober 2020

Wenn Kampfsport kontaktlos wird

Der Lockdown traf Kontaktsportarten besonders: Wettkämpfe wurden verboten, Trainings waren kaum möglich. Luzerner Vereine nahmen sich mit unterschiedlichen Strategien der Krise an.

Wenn Kampfsport kontaktlos wird
Luca Schibli (links) trainiert daheim via Zoom mit Sensei Pascal Egger. Bild: Shukokai Karate Luzern

Es war der Montag, 16 März, als der Bundesrat die ausserordentliche Lage für die Schweiz erklärte und das Land in einen Lockdown versetzte. Restaurants, Clubs sowie Fitnesscenter und Sportanlagen mussten schliessen. «Auch wir haben unser Trainingslokal sofort geschlossen», erinnert sich Pascal Egger, der zusammen mit seiner Partnerin Antonella Bergamin das direkt beim Eisfeld gelegene Kimura Shukokai Karate Luzern betreibt. «Das war für uns ein einschneidendes Erlebnis.»
Für den mehrfachen KSI-Welt- und -Europameister war aber schnell klar, dass dieser Zustand nicht lange anhalten darf. «Antonella und ich haben bereits nach einer Woche auf ein Online-Training umgestellt und den kompletten Stundenplan digital angeboten», erklärt der 37-Jährige. Er und seine Partnerin standen im Dojo vor der Kamera, während sich die Mitglieder via Zoom-Videoanruf zum Training anmelden konnten. «So war es unseren rund 400 Schülerinnen und Schüler möglich, sicher und geschützt von zu Hause aus mit uns zusammen Karate zu machen», führt Bergamin weiter aus. «Sich wieder zu sehen, auch nur virtuell, war für unsere Mitglieder enorm wichtig. Mit den Trainings konnten wir nicht nur den Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit fördern, sondern auch etwas Struktur schaffen.»

Weiter keine Wettkämpfe in Sicht

Was für den Breitensport eine willkommene Oase war, erfüllte jedoch nicht die Ansprüche der Elite. «Als der Bund Trainings für Kader wieder erlaubte, haben wir kurzerhand das Eisfeld gemietet, um den Wünschen unserer 14 Elitekämpferinnen und -kämpfer und dem nationalen Kader gerecht zu werden. So konnte mit genügend Abstand zueinander trainieren werden», sagt Egger. Die Trainingsfläche wurde in Felder von je vier Quadratmeter aufgeteilt. Jedes Mitglied durfte ein solches Feld betreten und darin aktiv sein.
Die Leistungsfähigkeit der Elite hochzuhalten ist die eine Herausforderung, der gezielte Aufbau hin zu Wettkämpfen die andere. Doch seit dem Lockdown fanden keine Turniere mehr statt. Die Weltmeisterschaft im südafrikanischen Kapstadt im Juli musste abgesagt werden – ein Frust für das gesamte Kader. Auch die für im Dezember geplante Schweizer Meisterschaft in Zürich findet nun definitiv nicht statt. Wann wieder Wettkämpfe stattfinden können, lässt sich derzeit nicht sagen.

Belastungsgrenzen waren erreicht

Denselben Herausforderungen musste sich auch das Shindokan Luzern stellen. André Hürlimann, Präsident und Technischer Leiter des Vereins, liess die Lokale in Kriens, Luzern und Emmenbrücke schliessen. Im Dojo an der Baselstrasse wo sonst Judo, Ju-Jitsu und Brazilian Jiu-Jitsu unterrichtet werden, blieben die Matten leer. «Der Vereinsvorstand war sich der Verantwortung bewusst und wollte zuerst abwarten und sehen, wie sich alles entwickelt», blickt der 36-jährige Luzerner zurück. Doch schon nach wenigen Wochen riefen immer mehr besorgte Mitglieder bei Hürlimann an. «Man berichtete mir, dass bei verschiedenen Kindern die psychische Belastungsgrenze erreicht sei.»
Darum machte sich der junge Familienvater ans Verfassen eines Schutzkonzeptes mit dem Ziel, möglichst bald die Türen des Dojos wieder zu öffnen. «Als Vorlage verwendete ich das Schutzkonzept des Bundesamt für Sport. Zusammen mit den Weisungen des Schweizerischen Judo- und Ju-Jitsu-Verbandes entstanden unsere Schutzvorschriften, die natürlich laufend, fast täglich, angepasst wurden», erklärt Hürlimann, der beim Zentralschweizer Verband für die Ausbildung zuständig. Online konnten sich bereits Anfang Mai die rund 200 Vereinsmitglieder wieder für Trainingseinheiten anmelden. Fortan wurde maximal zu fünft und ohne Berührungen trainiert. Dies galt auch für die weiteren Lokalitäten in Kriens und Emmenbrücke.

Körperkontakt als Herausforderung

Bis im Juni wurden die Vorschriften immer weiter gelockert. So durften zunehmend mehr Personen am Unterricht teilnehmen und auch Berührungen waren ab dem Sommer wieder erlaubt. Doch der Schritt hin zum gewohnten Training fiel nicht allen leicht. «Ein vierjähriges Mädchen kollabierte, als sie zum ersten Mal nach dem Lockdown jemanden im Training berühren sollte», berichtet Hürlimann. «Da wurde mir bewusst, wie schwer diese Zeit gerade für kleine Kinder sein muss.» Noch heute seien die Folgen praktisch in jedem Training sichtbar: «Es war normal, dass die Kinder vor einer Lektion miteinander spielten. Seit dem Lockdown ist das nicht mehr der Fall. Vielmehr suchen die Jüngsten den Abstand zueinander. Die Verunsicherung ist spürbar.»
Dies bestätigt Hürlimann in seinem Entschluss, die Lokalitäten so schnell wie möglich wieder geöffnet zu haben. «Wir erfüllen einen wichtigen sozialen Auftrag. Nicht nur damit, was unsere Lehrerinnen und Lehrer an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben, sondern der Verein als Ganzes.» Mit den aktuell stark steigenden Zahlen dürfte der gesellschaftliche Auftrag weiter an Wichtigkeit gewinnen.

Investitionen statt Verzweiflung

Von einem offenen Dojo konnte Sonja Jimerson lange Zeit nur träumen. Die 35-jährige Krienserin eröffnete mit ihrem gleichaltrigen Ehemann Aaron im März, also just vor dem Lockdown, ein neues Trainingslokal in Littau. «Der Shutdown traf uns wie ein Schlag in den Nacken», erinnert sich Jimerson. «Die Eröffnung und die ersten Wochen danach sind für einen neuen Verein entscheidend. Dann werden die meisten Mitglieder gewonnen.» So musste das Ehepaar ihr KSR Kaewsamrit Muay Thai Gym beim Stand von gerade mal
20 Clubangehörigen wieder schliessen.
«Es stellten sich für uns existenzielle Fragen, da wir mit der Eröffnung auch den Weg in die Selbstständigkeit gewagt haben», erinnert sich die Thaiboxerin, welche sowohl von Kriens wie auch Luzern bereits zweimal die Sportlerehrung erhalten hat. Da der Vermieter sich kulant zeigte, konnten die Jimersons das Lokal behalten und den Lockdown dazu nutzen, die Räumlichkeiten baulich anzupassen. «Es war bereits geplant, dass wir eine Wand im Dojo rausnehmen wollen, um den Platz zu vergrössern.»
So war am 8. Juni alles bereit für den Restart und das Ehepaar führte zusammen mit Trainer und Teilhaber Nattakit Tippalawong die Neueröffnung an der Grossmatte durch. «Die Erleichterung war riesig. Wir standen unter grossem Druck, auch finanziell.» Denn während der Schliessung konnten keine Abos verkauft werden. Heute sind rund 100 Thaiboxerinnen und Thaiboxer bei ihnen im Unterricht. «Wir sind zufrieden aber noch nicht über dem Berg. Jetzt gilt es einfach konstant weiter gute Arbeit abzuliefern», ist Jimerson motiviert und hofft, dass keine weitere Schliessung ihr Schaffen ausbremsen wird.

Autor: Lukas Z'Berg