Luzerner Zeitung – November 2019

Seit letztem Frühling sagt er ganz oft «Oss»

Der Luzerner Franz Brunner ist im September 75-jährig geworden und hat sich vor einem halben Jahr entschlossen, Karate zu lernen.

Seit letztem Frühling sagt er ganz oft «Oss»
Zwischen zwei Oss: Karateka Franz Brunner.Bildquelle: Dominik Wunderli

Wieso gerade Karate, in diesem Alter?
Franz Brunner: Weil mich die Philosophie des Karate schon immer fasziniert hat. Den Kick sozusagen hat mir dann ein Inserat in der Pro-Senectute-Zeitschrift gegeben. Karate, das heisst ja «die leere Hand». Diese waffenlose Selbstverteidigung, die Kombination zwischen Abwehr und Angriff, das passt für mich. Zuerst habe ich in der Kimura-Shukokai-Karate-Schule eine Gratislektion absolviert. Seit vergangenem Frühling bin ich offiziell im
Training.

Was bringt Ihnen das Karatetraining?
Karate hat sehr viel mit Gelassenheit und Respekt zu tun. Ich bin von Natur aus ein eher ungeduldiger Mensch. Karate lehrt mich, im hohen Alter noch gelassener zu sein, alles andere auszuschalten. Es gibt mir auch ein gutes Körpergefühl und mehr Selbstsicherheit. Karate ist auch eine Art Meditation.

Ihre Karatelehrerein Antonella Bergamin sagt, Sie seien eine Inspiration für alle anderen Schüler.
Ich bin mir bewusst, dass ich der Grossvater der Trainingsrunde bin. Die anderen Teilnehmer sind alle zwischen 30 und 40 Jahre alt. Aber das ist für mich nichts Aussergewöhnliches. Karate ist für mich die totale Herausforderung, verbunden mit der Frage: Was kann ich noch leisten?

Was können Sie noch leisten?
Ich trainiere zwei- bis dreimal pro Woche, nehme dazu noch Einzelstunden, weil ich vorwärtskommen will. Mein Ziel ist der gelbe Gurt.

Wer entscheidet, dass Sie für den gelben Gurt bereit sind?
Das ist der Sensei, mein Lehrer.

Und was ist mit dem berühmten schwarzen Gurt?
Der ist für mich weit weg. Das würde noch Jahre dauern, bis ich diesen erreichen würde. Nach dem gelben werde ich dann den blauen Gurt in Angriff nehmen. Im höheren Alter sind die Knochen nicht mehr so stabil wie bei den jugendlicheren
Kämpfern.

Haben Sie noch keine ernsthaften Verletzungen davongetragen?
Nein. Beim Training mit Körperkontakt tragen wir Schutzwesten, die Kicks werden durch Kissen abgefedert. Und Schläge an den Kopf sind verboten.

Ihr schönstes Karate-Erlebnis bisher?
Mir gefällt der respektvolle Umgang miteinander und die familiäre Atmosphäre an der Karate-Schule. Karate lehrt mich, im Hier und Jetzt zu sein, mich voll und ganz auf den einen Schlag zu konzentrieren. Und mich beeindruckt besonders das «Oss».

Wie bitte? Das «Oss»?
Ja, das «Oss». Ob Karate-Kids oder Karate-Erwachsene, das «Oss» bedeutet Grüezi, Ade, Bitte, Danke, drückt Respekt, Vertrauen und Sympathie dem andern gegenüber aus oder zeigt dem Sensei, dass das von ihm Gesagte verstanden worden ist. Unser Lehrer, Sensai Pascal Egger, hat einmal erzählt, dass eine Ärztin im Operationssaal zur Arbeit erschienen ist und ihr Team mit einem «Oss» begrüsst hat. So sehr hatte diese Frau dieses Karate-Wort verinnerlicht.

Autor: Turi Bucher